Historische Zemente

Die Beschäftigung mit Zementen in Mörteln des 19. und 20. Jhdts., die für unsere Abteilung bereits in den 1990-er Jahren ihren Anfang nahm, eröffnet spannende Einblicke in die Geschichte der frühen Industrialisierung, als erstmals Baustoffe automatisiert in großem Maßstab hergestellt und über eigene Handelswege europaweit, ja sogar nach Übersee vertrieben wurden.

Selbst die kleinste Probe aus einer Fassade oder einer Skulptur enthält zahlreiche Informationen zum Zementrohstoff, dem Ofentyp, den Brennbedingungen, der Mahlung und der Verarbeitung zum Mörtel. Naturgemäß haben sich seit dem Ende des 18. Jhdts., das als Geburtsstunde der Zemente gilt, die technischen Gegebenheiten in der industriellen Zementproduktion laufend verändert. Damit einher geht auch die Veränderung der betreffenden Mörteleigenschaften, was wiederum für die Restaurierung von großer Bedeutung ist, die sich ja bei der Rezeptionierung ihrer Ersatz- und Reparaturmassen am Originalbestand orientieren muss. Somit dient die materialwissenschaftliche Untersuchung und Charakterisierung von historischen Zementmörteln nicht nur dem Grundlagenwissen und der Industriegeschichte, sondern sehr wesentlich auch der Architektur- und Skulpturrestaurierung.

Die zahlreichen Varietäten historischer Zemente lassen sich in zwei Familiengliedern: Naturzemente und Portlandzemente. Die Unterschiede zwischen ihnen sind sowohl hinsichtlich der Erzeugung als auch bezüglich der technischen Eigenschaften groß, sodass ihre Unterscheidung in einer Probe einen wichtigen Bestandteil der Mörtelcharakterisierung darstellt. Chemische Methoden sind dazu weniger geeignet als licht- und elektronenmikroskopische, was der apparativen Ausstattung und der wissenschaftlichen Kernkompetenz unserer Abteilung sehr entgegenkommt. Aus diesem Grund konnten wir uns als Kompetenzzentrum für die materialwissenschaftliche Untersuchung zementgebundener historischer Baustoffe etablieren. Von großer Bedeutung war und ist in diesem Zusammenhang die stetige Kooperation und der Erfahrungsaustausch mit dem Naturwissenschaftlichen Labor des Bundesdenkmalamts im besonderen mit Dr. Farkas Pintér.

Zum Thema Naturzement, der vielerorts auch als Romanzement bezeichnet wird, war unsere Abteilung an mehreren internationalen Forschungsprojekten beteiligt, die bis heute zu einer stetigen Auseinandersetzung mit diesem Thema geführt haben. In gewisser Weise waren wir unter denjenigen, die den Romanzement als wichtigen Fassadenbaustoff der Gründerzeit „wiederentdeckten“ und damit ein Wissen erarbeiten durften, das über die Baustoffkunde und Bindemittelchemie hinaus in die europäische Denkmalpflege einfließen konnte. Interessierten empfehlen wir einen Besuch der Website des EU Forschungsprojekts ROCARE.

Projekthistorie:

  • EUREKA- E! 1382 – EUROCARE-EUROPLASTER: Preservation And Restoration of Historical Plaster (1995-97)
  • EU-Raphael – 97/F/2 RENDEC – „Decorated Renders Around 1900 in Europe: Technological Studies and Principles of Conservation and Restoration“
  • EU-RP5 – EVK4-CT-2002-00084 ROCEM – “Roman Cement to Restore Built Heritage Effectively“(2003-06)
  • EU-RP7- ENV-2008-1- 226898 ROCARE – “Roman Cements for Architectural Restoration to New High Standards” (Projektkoordination). (2009-12)

Betreuung von Dissertationen

Dipl.-Ing. Karol Bayer: Mikrostruktur und Phasenzusammensetzung der hydraulischen Mörtelbindemittel des 19.Jahrhunderts

Betreuung:
ao. Univ.-Prof. Dr. phil. Johannes Weber